Boethius und die vita contemplativa in der Consolatio Philosophiae

Philosoph, Politiker oder Intellektueller?

Andreas Wagner
Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt am Main

 

Wenn die Philosophie Erkenntnisse über die politische Theorie zwischen (Spät-)Antike und Renaissance zu gewinnen sucht, dann bestehen große Probleme der Auszeichnung und Qualifizierung einschlägiger Quellen.[1] Man beginnt, sich über die Zuordnung der Ciceronischen Republik oder der Augustinischen Civitas Dei zu einer bestimmten Epoche zu streiten, und man beginnt, aus vermeintlich unpolitischen Schriften politische Perspektiven und Vorstellungen herauszuarbeiten. Die moderne Philosophie muss dabei von der Unterscheidung von theologischen, politischen und ethischen Aspekten – bei allem möglicherweise vorhandenen Bestreben, jene Aspekte wieder zusammenzuführen – zunächst ausgehen. Mag dies nun auch eine problematische hermeneutische Hürde darstellen, sie wird doch nicht verhindern, dass aus den Schriften jener Phase überhaupt Erkenntnisgewinn gezogen wird. In diesem Sinne wird hier ein komplexes Geflecht von Lebensweisen (politischen wie kontemplativen) und ihrer Einschätzung in der Consolatio Philosophiae des Boethius aufgespürt.[2]

Um die feinen Differenzen herauszustellen ist es dabei nötig, zwischen den verschiedenen Perspektiven zu unterscheiden, in denen uns Boethius entgegentritt: So wird strenggenommen von einem Ich-Erzähler der (vergangene) Besuch der Philosophie bei dem Erzähler, dem gefangenen Boethius beschrieben, d.h. in seinem Bericht lässt der Erzähler zwei dramatis personae auftreten. Diese beiden – der besuchte Boethius und die besuchende Philosophie – sowie der Ich-Erzähler Boethius fallen dann allerdings noch auf einer gleichsam darüber liegenden Ebene mit dem Autor Boethius zusammen, dessen Intentionen ja weder mit denen des Erzählers noch mit irgendeiner der Perspektiven oder einer Kombination derselben unmittelbar zusammenfallen muss.

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In dem ausführlichen Beklagen seiner Situation in der vierten Prosa des ersten Buchs beschreibt Boethius die grundsätzliche Orientierung und Motivation seiner politischen Laufbahn, die ihn letztendlich zur Verurteilung und in die Gefängnissituation geführt hat. Seine ganze politische Aktivität galt demzufolge dem Gemeinwohl (I, 4.p., Z. 27) und der Vermeidung von Schaden durch die unter Umständen fatale Herrschaft von „Schurken und Verbrechern“ (I, 4.p., Z. 21). Dabei sei sein gemeinnütziges Engagement als Philosoph nicht nur von der Philosophie selbst gefordert,[3] sondern auch inhaltlich vorgezeichnet. Denn es sind gerade die philosophisch gewonnenen Erkenntnisse über die Ordnung der Dinge, die es gilt, in die politische Praxis einfließen zu lassen.[4] Als Philosoph trachtete er so nach Erkenntnis und eben auch nach praktisch-politischer Einrichtung der menschlichen Angelegenheiten in einer der Ordnung der natürlichen und übernatürlichen Dinge entsprechenden Weise. Er kann dann eine ganze Reihe von Fallbeispielen anführen, die verdeutlichen, dass er nie von diesem Grundsatz der Politik des Gerechten abfiel. Von Beginn seiner Antwort auf die rhetorisch gestellte Frage des Undanks der Philosophie[5] an beruft er sich auf Platon und seine Republik (I, 4.p., Z. 16ff). Einerseits sind die philosophischen Erkenntnisse unmittelbar einschlägig für die politische Praxis und diese nicht philosophisch unbestimmt, andererseits wird an einer Rollentrennung zwischen theoretischer Erkenntnis und politischem Engagement festgehalten, die um einiges einfacher als die aristotelische von Theoria und Praxis angelegt ist. Denn in einem aristotelischen Modell, welches ja durch eine ganze Palette von Tugend- und Habitus-Begriffen kompliziert wird, müssten Weisheit, Klugheit, menschliches Wesen und Teilhabe am Göttlichen vermittelt werden und nicht bloß in Abgeschiedenheit gewonnene Erkenntnisse in die Politik „transferiert“ werden.

Die rhetorische Form dieser Klage konnte als exakte, poetisch sorgfältig und geistreich durchgearbeitete Entsprechung zum detailliert festgelegten Schema des genus iudiciale identifiziert werden, und die Rede von der Apologie erweist sich als in einem technischen, nämlich dem juristischen Sinne als zutreffend.[6] Diese Apologie orientiert sich im Aufbau (bestehend aus den Teilen exordium, narratio, probatio, refutatio, peroratio, wobei die probatio noch weiter in propositio, ratio und exornatio unterteilt werden kann), im Stil wie im Inhalt an der topischen Vorgabe oder an klassischen Empfehlungen. Boethius präsentiert sich als raffinierter, stilsicherer und wortgewaltiger Rhetoriker, der die Prinzipien gerichtlicher Verhandlungen handzuhaben und ein Publikum für sich zu gewinnen weiß. Allerdings zeigt sich die Philosophie nach dem umfangreichen und elaborierten Vortrag, der noch von einer carmina abgerundet wird, vollkommen unbeeindruckt, ja sie scheint die Rede des Boethius sogar als ein augenfälliges Symptom der Krankheit aufzufassen (I, 5.p., Z. 1ff.). In der Tat legt gerade ihre kunstvolle Struktur und die juristische Form eine Parallelisierung zur Darstellung des Gorgias bei Platon und damit zu einer Lebensweise nahe, die nach dem Urteil des Sokrates sich über sich selbst täuscht und Illusionen über die Verbindung von politischer Einflussnahme und Gerechtigkeit und Glückseligkeit hegt. Berücksichtigt man dann noch die Motivation der Rede – Selbstmitleid, Angst, Groll und den Wunsch nach Vergeltung –, so ist die strenge Reaktion der Philosophie konsequent und sinnfällig. Schwierig ist allerdings die unmittelbare Übertragung dieser verwerflichen Einstellung auf die bisherigen politischen Aktivitäten des Boethius. Kann jedoch eine Kontinuität zwischen dieser und jener angenommen werden, und sei es nur hinsichtlich des politischen Habitus, der eine andere Motivation bei gleicher Rhetorik kaum effektiv erlaubt und eine andere Rhetorik noch viel weniger, so ergibt sich eine Beurteilung jener geschilderten Lebensform erst aus der Konfrontation von Rede und Reaktion. Wird durch den geschilderten Kontrast die Würde der Philosophie erhöht,[7] so wird darüber hinaus auch das politische Engagement abgewertet. Offenbar findet sich auch schon in der Consolatio, was in heutiger Platon-Literatur nicht unumstritten, aber doch ein geläufiges Motiv ist: Dass die Republik nicht als Leitfaden für ein praktisches politisches Verhalten und für eine Besetzung von Machtpositionen in vorliegenden Staatsformationen durch philosophisch-theoretisch versierte Wissenschaftler verstanden werden darf, sondern als extrem idealisiertes, ja bisweilen ‚utopisches’ Bild eines optimalen Gemeinwesens.[8] Die Politik wird im Hier und Jetzt als kompromittierte, minder anstrebenswerte Lebensweise ausgezeichnet, und die Trennung der Rollen von Philosoph und Politiker wird so verschärft, dass sie sich offenbar nicht in derselben Person vereinigen können. Als Resultat ergibt sich eine klare Option (der Philosophie und des Erzählers Boethius) für eine Betätigung ausschließlich in der Philosophie.

 

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Am Ende des Textes findet sich eine ähnlich raffinierte Stelle:[9] Im fünften Buch entwirft die Philosophie in der Kontemplation der göttlichen Vorhersehung und der menschlichen Freiheit das Ideal eines Lebens, das genau dort am freiesten und gottgefälligsten ist, wo sich der Mensch ganz der Betrachtung Gottes widmet. Es ist ein Gebot, sich durch die Betätigung der Vernunft der göttlichen, weder durch Materialität noch durch Zeitlichkeit beschränkten Intelligenz anzunähern.[10] Deutlich wird dies auch aus dem Vergleich des Menschen mit den Tieren in der fünften carmina: Während diese den Blick auf die Erde geneigt haben, so besteht die Bestimmung des Menschen im Aufschauen zum Himmel und dem Herauftragen der Seele zum Erhabenen. Glückseligkeit findet der Mensch nicht in der praktischen Organisation seiner irdischen Angelegenheiten nach dem Vorbild der kosmischem Ordnung, sondern im Gegenteil in der Überwindung der irdischen und menschlichen Befangenheiten, in der philosophischen Erhebung zur Wahrheit. Das fünfte Buch und damit die ganze Consolatio endet verhältnismäßig abrupt mit einem allgemeinen Aufruf an die Menschen zum Gebet und zu rechtem Handeln, das natürlich immer noch gefordert ist und sich vor einem allsehenden Gott verantworten muss. In einer Verlängerung dieser Position könnte man als einschlägige und autoritative Quelle des Boethius Platons Phaidon ausmachen, in dem die Ablösung der unsterblichen Seele vom Leib und den weltlichen Bedürfnissen als anzustrebende ausgezeichnet und bis in die Auflösung der leiblichen Existenz im bereitwillig zu empfangenden Tode erwogen wird.

Hier nun scheint die Form dem Inhalt zu entsprechen: Ab der vierten Prosa handelt es sich um einen umfangreichen monologisierenden Vortrag der Philosophie, der durch zwei Gedichte aufgelockert wird, die ebenfalls durch die Philosophie vorgetragen werden. An drei Stellen (V, 4.p., Z. 25, V, 6.p., Z. 79 und V, 6.p., Z. 156) steht ein minime, das nach Gruber und Bieler als eigene Antwort der Philosophie und nicht als Wiederaufnahme des Dialogs zu verstehen ist.[11] Der Vortrag der Philosophie steht im krassen Gegensatz zum oben beschriebenen Auftaktvortrag des Boethius, er ist eine theoretische Kontemplation, die den Gesprächspartner nicht zu beeindrucken sucht, sondern ihn buchstäblich absorbiert. In dieser Passage verschmelzen nicht nur Philosophie und Boethius, sondern Philosoph, Philosophie und sogar göttliches Wissen. Damit ist diese Passage der Form nach ein genaues Beispiel für die inhaltlich geforderte Lebensweise. Eine sokratische Relativierung im Sinne eines Wissen des eigenen Nichtwissens kommt nicht vor. Vielmehr weist die Passage die Form einer Offenbarung auf.[12] Obgleich hier weniger eindeutige und strenge Vorgaben hinsichtlich des Stils, der Gliederung und der Thematik anzuwenden sind, scheint eine solche Einordnung oder Parallelisierung doch durch den monologisierenden, lehrhaften und autoritativen Gestus, den abschließenden predigthaften Appell und die Verschmelzung des Wissens der vortragenden Philosophie mit dem göttlichen Wissen nahe zu liegen. Da eine Offenbarung allgemein und diese spezielle Offenbarung sogar inhaltlich und explizit eine Aufforderung zum Gebet darstellt,[13] kann ein solches Verständnis des Vortrags der Philosophie das Fehlen einer Antwort des Boethius und den abrupten Schluss erklären und wird deshalb mitunter gegen Positionen vorgebracht, die in diesem Schluss das Zeichen eines unfreiwilligen Abbruchs der Arbeit an der Consolatio sehen.[14]

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Wird nun der inhaltliche Verlauf der ganzen Consolatio betrachtet, so stellt sie sich dar als ein Prozess, in dem der durch die Verwicklung in die weltlichen Dinge (und damit durch sich selbst) politisch und materiell wie auch spirituell ins Elend gestürzte selbstverliebte, sich selbst bemitleidende und verbitterte Boethius durch die Philosophie zurück zur Einsicht in die Göttlichkeit des Lebens der Kontemplation und zur Distanzierung von vergänglichen Gütern geführt wird. Damit wird in der Tat eine Tröstung vorgeführt, die mit der Welt und mit der eigenen Lage versöhnt und eine Umkehr von der politisch engagierten zur sich enthaltenden und kontemplativen Lebensweise empfiehlt. Da es unmöglich ist, sich vollständig aus der Welt zurückzuziehen, so muss in der – bescheidenen und politisch anspruchslosen – Praxis des Menschen darauf geachtet werden, sich jederzeit ohne die Ausrede einer determinierenden Vorsehung vor dem allsehenden Gott rechtfertigen zu können, Rechtschaffenheit ist also immer noch die Maxime der Praxis. Tröstung, Glückseligkeit und Gottgefallen erreicht man allerdings überhaupt nicht in der Praxis, sondern in der philosophischen Kontemplation. Ihr kommt die Kraft nicht nur der Tröstung, sondern darüber hinaus der Erkenntnis, der Erziehung und einer Annäherung und Angleichung an die göttliche Seinsweise zu – so weit dies dem Menschen eben möglich ist.

Die Verschiebung von der dialogischen, zu Beginn sogar streitbaren Form der Unterhaltung zur monologischen, offenbarungs- oder gebetsähnlichen Form, die schließlich ganz aus der konkreten Situation des gefangenen Boethius und wenigstens virtuell sogar aus der Dialogsituation und der Form einer Äußerung überhaupt herauszutreten scheint, unterstreicht weiter den Verzicht auf den Anspruch, gesellschaftliche Interaktionsweisen ethisch oder politisch zu organisieren. Ein Bedarf, die Relativität des eigenen, kontemplativ gewonnenen Wissens zu überprüfen, einzuholen und gegebenenfalls zu korrigieren, kommt weder dem Inhalt, noch der Form nach vor. Ein Abgleich der eigenen Thesen ist weder durch Reflexion, noch durch Empirie, noch auch durch Dialog und Interaktion vorgesehen.

Damit ist die negative Beurteilung der Meinung, politisches Engagement und philosophische Theorie gingen Hand in Hand durch die Philosophie, die wir schon im ersten Buch beobachten konnten, voll zum Durchschlag gelangt: Nicht nur sind ein lauteres Leben und eine rechte Gesinnung kaum durchzuhalten, wenn man sich auf das in jeder Hinsicht dünne Eis der Politik begibt. Auch das, was man in der Politik zu erreichen oder wenigstens zu befördern meint, wird durch sie eher unterminiert, dagegen ‚realisiert’ in der Philosophie – Gerechtigkeit und Glückseligkeit können allein durch die konsequente Hinwendung zur Theorie erlangt werden. Neben dem erwähnten Phaidon befindet sich Boethius hier in guter Gesellschaft: Bis auf den – entscheidenden – Punkt der unterschiedlichen Einschätzung der Möglichkeit eines solchen Lebens wird diese Lebensweise auch vom ‚Antipoden’ Aristoteles in der Nikomachischen Ethik so detailliert wie selten anderswo als ideal hinsichtlich der Würde, Dauer, Lust (!), Selbstgenügsamkeit, Muße und der Freiheit von Ermüdung ausgezeichnet.[15] Versteht man jedoch die Pointe des Aristoteles im Entwurf eines in der Welt verankerten Ideals des praktischen Lebens, so steht ihm kaum etwas weiter entgegen als dieses Votum, das er wohl als vermessen und illusorisch verworfen hätte.

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Allerdings hat Andrew Belsey zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass schließlich auch die Form der Äußerung des Autors Boethius zu erwägen ist.[16] Er immerhin hat ja, diesen Prozess vor Augen, sich eben nicht in stilles Gebet und Kontemplation zurückgezogen, sondern die Consolatio Philosophiae gerade zur Publikation niedergeschrieben. Berücksichtigt man die – politische – Situation der Abfassung des Textes im Allgemeinen (den allmählichen Zerfall des römischen Reichs, der in der Trennung von west- und oströmischem Reich, sowie in der Rolle germanischer Herrscher in Italien ganz konkrete Formen annahm), wie auch im Besonderen (die Verurteilung des nach seiner eigenen Auffassung aufrechten und wohlwollenden Boethius, die verlogenen Zeugen, fingierten Vorwürfe und die gefälschten Briefe, schließlich den Senat, um dessen willen Boethius selbst ein solch hohes Risiko eingegangen war und der sich nun belastend gegen ihn wandte), so tritt der Charakter eines gesellschaftskritischen Traktats und eines ethisch gehaltvollen Appells an seine Mitbürger klar hervor.[17] Ob es nun eine Schrift sein mochte, durch die Boethius sein Schicksal abzuwenden hoffte oder nicht,[18] in ihr tritt uns Boethius, wo nicht als Politiker, so doch als ‚Intellektueller’[19] entgegen. Damit wird der Eindruck eines fundamentalen Bruchs in der Biographie, der ihn unmittelbar vor seinem Tode von der Politik zur Kontemplation bekehrt haben könnte, allein durch das Faktum der Consolatio Philosophiae dementiert, und die daran abzulesende Praxis ist wohl sehr viel komplizierter, als dies die inhaltlich und formal behandelten Lebensweisen spiegeln könnten. Leider ist jedoch für eine in diesem Sinn angemessenere Rekonstruktion der boethianischen philosophisch-politischen Praxis das uns in Form der Consolatio zur Verfügung stehende Material unzureichend, hier müsste eine theoretische und im gleichen Moment historische Arbeit einsetzen, die über den Rahmen, den Fokus und das besondere Interesse dieses Beitrags hinausreicht.



[1] Mittlerweile wird von vieler Seite die Annahme einer beinahe tausendjährigen theoretischen ‚Flaute’ zwischen etwa der Politik eines Aristoteles und dem üblicherweise angenommenen Neubeginn politischer Theorie ex nihilo durch den Principe des Machiavelli als unplausibel abgelehnt. Neben einzelnen einschlägigen Abhandlungen – man denke nur an den Policraticus des Johannes von Salisbury oder an den Dialogus des Wilhelm von Ockham – gibt es weitergehende Ansätze, die bereits in den Auseinandersetzungen um die Gregorianische Reform des 11. Jahrhunderts charakteristische und sich durchhaltende Züge der Moderne (!) ausmachen. So H. J. Berman, Recht und Revolution, Frankfurt/Main, 1995.

[2] Boethius, Trost der Philosophie – Consolatio Philosophiae, Lateinisch und deutsch, hrsg. u. üs. v. E. Gegenschatz u. O. Gigon, eingeleitet u. erläutert von O. Gigon, Düsseldorf und Zürich, 19985.

[3] Siehe I, 4.p., Z. 19ff. – die Philosophie selbst habe verkündet, „daß es zwingender Grund für die Weisen sei, die Staatsleitung zu ergreifen, damit nicht Schurken und Verbrechern das Steuer der Städte überlassen und dadurch den guten Bürgern Unheil und Verderben bereitet werde.“ Orig.: „Tu [...] sapientibus capessendae rei publicae necessariam causam esse monuisti, ne improbis flagitiosisque civibus urbium relicta gubernacula pestem bonis ac perniciem ferrent.“

[4] Siehe I, 4.p., Z. 23ff. –„[...] was ich von dir in abgeschiedener Muße gelernt hatte, habe ich in die Aktivität der Staatsverwaltung zu übertragen gesucht.“ Orig.: „[...] quod a te inter secreta odia didiceram, transferre in actum publicae administrationis optavi.“

[5] Vgl. I, 4.p., Z. 15 – „Tragen wir nun solchen Lohn für unsern Gehorsam davon?“ Orig.: „Haecine praemia referimus tibi obsequentes?“

[6] Vgl. K. Reichenberger, Untersuchungen zur literarischen Stellung der Consolatio Philosophiae, Köln, 1954, S. 36-76 und M. Galdi, Saggi boeziani, Pisa, 1938, S. 230-239. Außerdem J. Gruber, Kommentar zu Boethius De Consolatione Philosophiae, Berlin und New York, 1978, S. 113-133.

[7] Das hebt etwa E. Rhein, Die Dialogstruktur der Consolatio Philosophiae des Boethius, Diss. Frankfurt/Main, 1963, S. 18f. hervor.

[8] Vgl. beispielhaft O. Apelt, „Einleitung“, in: Platon, Gesetze, üs. u. erl. von O. Apelt, Hamburg, 1998.

[9] Die ausführliche Erörterung der Tugenden und Güter im zweiten und insbesondere im dritten Buch wird hier außen vor gelassen, denn erstens wird dort das politische Engagement sozusagen unmittelbar ethisch behandelt und aufgezeigt, warum Würden, Ehre, Ruhm oder Macht keine Glückseligkeit verbürgen können, mithin wird das Politische durch die Identifizierung mit dem Telos von Macht und Ehre meiner Ansicht nach ethisch ‚kurzgeschlossen’, zweitens ergibt sich, was die Form der Unterredung in diesen Passagen angeht, kein so eindeutiges und sinnfälliges Bild wie an anderen Stellen, drittens hat sich auch inhaltlich noch keine positive Bestimmung der empfehlenswerten Lebensweise tatsächlich als dominierende durchsetzen können und viertens würde eine Einbeziehung dieser Stellen in angemessener Differenziertheit den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

[10] Vgl. V, 5.p., Z. 51f. – „Darum sollen wir uns, wenn wir es können, zum Gipfel jener höchsten Intelligenz emporrecken.“ Orig.: „Quare in illius summae intelligentiae cacumen, si possimus, erigamur.“

[11] Vgl. Gruber, op. cit., S. 412 und L. Bieler (Hrsg.), Anicii Manlii Severini Boethii Philosophiae Consolatio, CC XCIV, Turnhout, 1957.

[12] Vgl. R. Carton, „Le christianisme et l’augustinisme de Boèce“, in: Mélanges Augustiniennes, Paris, 1931, S. 297, Rhein, op. cit., S. 64.

[13] Nach Gruber, op. cit., S. 415.

[14] Diese letzte Position nimmt etwa H. Traenkle, „Ist die Philosophiae Consolatio des Boethius zum vorgesehenen Abschluss gelangt?“, in: Vigiliae Christianae 31 (1977), S. 148-156 ein. Den Charakter der letzten Prosa als Argument für einen regulären Schluss präsentiert dagegen z.B. A. Belsey, „Boethius and the Consolation of Philosophy, or, How to be a good philosopher“, in: Ratio (New Series) 4 (1991), S. 1-15.

[15] Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1177a-1181b.

[16] Vgl. Belsey, op. cit., S. 14f.

[17] Belegstellen für diesen Anspruch lassen sich an verschiedenen Stellen, so in I, 4.p., Z. 85ff. finden. – „Was soll ich von den gefälschten Briefen sagen, in denen ich, wie die Beschuldigung lautet, die römische Freiheit erhofft habe? [...] Denn wo läßt sich noch ein Rest von Freiheit hoffen? O daß er sich doch erhoffen ließe!“ Orig.: „Nam de compositis falso litteris, quibus libertatem arguor sperasse Romanam, quid attinet dicere? [...] Nam quae sperari reliqua libertas potest? Atque utinam posset ulla!“ Wir können vom sprichwörtlichen, aber schwerer zu belegenden „Verfall der Sitten“ einmal ganz absehen.

[18] Für ein Verständnis in diesem ersten Sinne äußert sich etwa auch O. Gigon, „Einführung“, in: Boethius op. cit., S. 310f.

[19] Die Verwendung dieses modernen Terminus soll terminologisch über die Schwierigkeit hinweghelfen, die hier angedeutete Praxis anders als in der Opposition vita activa / contemplativa auszudrücken und meint keinen inhaltlich stark gefüllten Begriff.